Meine Rede zum Abschluss der Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses
Hier meine heutige Rede im Plenum:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Viereinhalb Jahre nach dem folgenschwersten dschihadistischen Anschlag auf deutschem Boden hat der 1. Untersuchungsausschuss dieser Wahlperiode 40 Monate nach Beginn seiner Arbeit am letzten Montag Ihnen, Herr Präsident - Sie erwähnten es eben -, den Bericht über seine Arbeit übergeben. Heute diskutieren wir diesen 1 873 Seiten starken Abschlussbericht hier im Plenum. Als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, noch öfter aber als Abgeordneter des Berliner Wahlkreises, in dem dieser mörderische Anschlag stattgefunden hat, bin ich gefragt worden, warum wir das alles überhaupt noch aufarbeiten. Oftmals wurde auch gesagt, dass wir das Leid ohnehin nicht ungeschehen machen können. Das stimmt natürlich, und dennoch gab es zwölf besondere Gründe für unser akribisches Aufarbeiten.
Ich erinnere an
Anna und Georgiy Bagratuni,
Sebastian Berlin,
Nada Cizmar,
Fabrizia Di Lorenzo,
Dalia Elyakim,
Christoph Herrlich,
Klaus Jacob,
Angelika Klösters,
Dorit Krebs,
Lukasz Urban und
Peter Völker.
An dieser Stelle darf ich sehr herzlich die Opfer, Hinterbliebenen und Betroffenen des Attentats hier heute begrüßen. Wir alle sind dankbar, dass Sie die Einladung unseres Bundestagspräsidenten angenommen haben, jetzt hier die Debatte im Parlament verfolgen und wir uns im Anschluss noch austauschen können. Ich darf aber auch an die vielen Menschen erinnern, die an jenem Abend mitten in der Berliner City verletzt wurden, körperlich oder seelisch, als Opfer, Augenzeugen oder Helfer. Viele von ihnen tragen bis heute an den Folgen. Ausdrücklich möchte ich die Gelegenheit nutzen, jenen, die am 19. Dezember Hilfe geleistet haben, ob im Dienst oder ehrenamtlich, sehr herzlich zu danken.
Die Arbeit unseres Ausschusses konnte und kann sicherlich nicht trösten und auch keine Wunden heilen. Wir haben aber versucht, auf quälende Fragen Antworten zu finden, besonders auf die Frage, wie es passieren konnte, dass ein polizeibekannter Krimineller und Gefährder, der kein Aufenthaltsrecht im Schengen-Raum hatte, diesen Anschlag dennoch verüben konnte. Wir haben 132 Sitzungen durchgeführt, 147 Zeuginnen und Zeugen 462 Stunden lang vernommen. Tausende Aktenordner wurden von Bundes- und Landesbehörden vorgelegt und vom Ausschuss ausgewertet. Der Bundestag hat sogar selbst Gutachter und Sachverständige beauftragt, unter anderem, um die Spurenlage zu analysieren. Trotz allen Aufwandes sind aber einige Fragen ohne Antwort geblieben. So konnten wir nicht aufklären, auf welchem Weg der Mörder Berlin verlassen hat, wer ihm vielleicht geholfen oder ihn angestiftet hat. Wir wissen bis heute nicht, wie er an die Schusswaffe gelangte und ob er auf seiner Flucht nach Italien Unterstützer traf.
Was wir aber wissen, ist, dass es vor und nach dem Attentat individuelle und organisatorische Fehler und Fehleinschätzungen gegeben hat, Versäumnisse, strukturelle und personelle Probleme und auch mangelnde Kommunikation zwischen Behörden auf der Bundes- und auf der Länderebene. Keiner diese Fehler und Mängel war für sich allein kausal für den Anschlag, aber alle zusammen waren fatal; denn eigentlich hätte der Attentäter vor dem Anschlag in Haft genommen und seine Abschiebung konsequent betrieben werden müssen.
Damit komme ich für mich zu dem traurigen Ergebnis, dass diese mörderische Tat hätte verhindert werden können. Auch der anschließende Umgang staatlicher Stellen mit Opfern und ihren Angehörigen hat zu Recht Befremden ausgelöst. Wir mussten aber auch feststellen, dass es vor dem Anschlag auch auf Seiten der Gesetzgebung Versäumnisse gegeben hat. An dieser Stelle möchte ich bei den Opfern und Hinterbliebenen stellvertretend herzlich um Verzeihung für dieses Versäumnis bitten.
Dieser Anschlag hat bei vielen Kollegen zur intensiven Überprüfung der gesetzlichen Ausgestaltung unserer Sicherheitsarchitektur und der Betreuung und Entschädigung von Opfern und Hinterbliebenen geführt. Meine beiden Unionskollegen Dr. Volker Ullrich und Alexander Throm werden gleich im Einzelnen die inzwischen auf dem Weg gebrachten Gesetzesänderungen, die Verbesserungen bei der Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden und das, was wir von der CDU/CSU an weiteren Schritte für erforderlich halten, darstellen.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, meine Damen und Herren, hat aber nicht nur die Aufgaben, selbst zu hinterfragen und auszuleuchten; vielmehr dient seine Arbeit auch dazu, dass die Behörden und die Ministerien ihr eigenes Handeln kritisch aufarbeiten. Wir haben im Ausschuss Zeugen erlebt, denen jede Selbstreflexion fehlte; wir haben andere erlebt, die teils sehr emotional um Verzeihung gebeten haben und die diesen Anschlag auch als persönlichen Misserfolg ihrer Arbeit betrachtet haben. Und auch das will ich an dieser Stelle deutlich sagen: Viele andere Anschläge konnten in den letzten Jahren in unserem Land rechtzeitig verhindert werden. Dafür sind wir dankbar, und das sollten wir auch im Lichte dieses Berichts nicht vergessen. Wir alle wären aber sicherlich froh gewesen, wenn auch die Morde auf unserem Weihnachtsmarkt hätten verhindert werden können. Aber vielleicht kann die Arbeit unseres Ausschusses dazu dienen, dass sich Vergleichbares nicht wiederholt.
Sicherlich hat aber unsere Arbeit und auch die der beiden Untersuchungsausschüsse im Lande Berlin und in Nordrhein-Westfalen gezeigt, dass der demokratische und föderale Staat in der Lage ist, Fehler aufzuklären, Versäumnisse einzugestehen, Verantwortung zu übernehmen und Korrekturen einzuleiten. Bei uns werden die Dinge eben nicht unter den Teppich gekehrt, sondern transparent und nachprüfbar aufgearbeitet als Ausdruck parlamentarischer Kontrolle der Exekutive. Das ist eine der Stärken unseres freiheitlich-parlamentarischen Systems, die wir jederzeit verteidigen müssen und auf die wir stolz sein können.
Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich mich noch bedanken. Alle Fraktionen im Ausschuss haben mit Engagement den vom Plenum einstimmig gefassten Untersuchungsauftrag bearbeitet. Über Parteigrenzen hinweg stand das Interesse an der Aufklärung und der Beantwortung der Fragen. Ich darf insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen danken, die sich durch die aufgelieferten Akten und Protokolle der Vernehmungen gearbeitet haben. Ohne sie hätten wir Abgeordnete nicht unseren Auftrag erfüllen können.
Mein Dank gilt besonders auch dem Ausschusssekretariat. Sie haben mir als Vorsitzendem hervorragend zur Seite gestanden. Nicht vergessen möchte ich auch den Stenografischen Dienst, der auch bei unseren teils zwölfstündigen Sitzungen bis Mitternacht die Protokolle geführt hat, die Bundestagsverwaltung und die Polizei des Bundestages, die wir bei der Vernehmung einiger Zeugen aus dem Umfeld des Mörders gut gebrauchen konnten.
Wir sollten aber auch die Vertreter des Behörden des Bundes und der Länder nicht vergessen, die dem Ausschuss zur Verfügung standen, und die zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Akten herausgesucht und zusammengestellt haben, damit wir unsere Arbeit machen konnten. Mein Dank gilt abschließend auch der Presse, die regelmäßig über unsere Ausschussarbeit berichtet hat, und den Besucherinnen und Besuchern, die fortdauernd die Sitzungen des Ausschusses begleitet haben.
Gestatten Sie mir noch ein persönliches Wort. Ich selbst wäre fast am 19. Dezember 2016 zu diesem Weihnachtsmarkt gefahren. Ich habe mich mit meinem Sohn im letzten Moment entschieden, dass wir das einen Tag später machen, und wir sind an diesem Abend nach Potsdam gefahren. Auf dem Rückweg haben wir dann von diesem Anschlag gehört. Ich war am 20. Dezember dann selbst auf dem Breitscheidplatz, und ich habe heute noch die beklemmende Stille unmittelbar am Kurfürstendamm im Ohr - eine Situation, die ich bis dahin nicht kannte. Auch aus diesem Grund hoffe ich, meine Damen und Herren, dass der Deutsche Bundestag nie wieder wegen eines vergleichbaren Vorgangs einen Untersuchungsausschuss einsetzen muss.
Herzlichen Dank!